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Rafa's Homepage

Lies das, Krieger!

Krieg und Kampf, vollzogen in einer Gruppe - einer Bruderschaft. Eine Familie, die einem Mann den Zusammenhalt signalisiert und ihm damit Geborgenheit und Liebe gibt, so wie er sie auch versteht.

into glory we ride, tenthousands side by side...

Dann das Selbstwertgefühl bei der Vorstellung von Sieg und Einmarsch in die eroberten Gefielde... da verlagert man seinen Blick in die Zuschauerreihe und lenkt ihn von dort aus zurück auf sich selbst um seinem persönlichen Triumphzug und Aufmarsch selbst zusehen zu können und sich selbst als Sieger, Starker, Halbgott anbeten zu können.

Es ist Performance, nichts als ein Bild, das man(n) (insgeheim) "ich" nennt und sich damit endlich selbst verherrlichen kann.
Und auch die Liebe kommt wieder nicht zu kurz: die Selbstliebe, sich endlich selbst etwas wert sein - ja, das will ich!

Nur in sekundarer Linie geht es auch um eine ganz bestimmte Art von Macht. Namlich eine Macht, geboren aus einer Angst, selbst verletzt zu werden. Es pumpt sich einerseits visionar eine Starke auf, die andererseits etwas sehr Empfindliches tief darunter nur schützen soll - vor bloßer Berührung. Ich bin der Sieger, bin derjenige, dem sich niemand in den Weg stellen traut, ja, den sich nicht mal jemand berühren traut. Alle rennen furchtsam weg vor mir und ... keiner tut mir mehr weh! Niemand wird mich je mehr verletzen, denn jetzt bin ICH der Starke! Seht meine Muskeln! Meine Krafte! Meine Macht!

Und es geht schon auch noch um einige Sachen mehr, aber das hier soll vorerst reichen.

Scham dich nicht, wenn ich dich durchschau: Woher sollt ich's denn wissen, wenn nicht von mir selbst


Erfüll dir deine tiefen Wünsche, Krieger - aber sei klug und listig, sonst übertölpelt dich der Feind: Sieh erst nach, ob es sich nicht um eine tückische Falle handelt, den Weg zu gehen, den du begeistert gehen willst.

Lass dir zwei Geschichten erzahlen...
 

Es ist schon eine Weile her, da hatte ich mal einen Kumpel, ich nenne ihn hier einfach mal "Martin".
Kennengelernt hatten wir uns, weil er mich anbaggerte - aber wer will denn schon so einen?
Also ICH nicht.

Der Martin hatte krause, schwarze Haare, Anfang 20 schon tiefe Geheimratsecken und dunkelbraune Augen.
Schön war er wirklich nicht, aber das schien ihm nicht klar zu sein.

Sein Zimmer hing voller Gasmasken, Stahlhelme, Hakenkreuze und einem Wahlplakat der NSDAP. Stolz zeigte mir der Martin seine Reliquien, die er auf Trödelmarkten oder unter der Hand vom 3. Reich erstanden hatte. Einige Modellpanzer und Kettenfahrzeuge hatte er auch im Regal stehen. (Das ist natürlich DIE Umgebung, auf die JEDES Madel SOFORT abfahrt...).

Der Martin hatte natürlich Probleme mit Mädchen. Dabei war er nach eigenen Angaben doch ein so wunderschöner Kavalier der alten Schule und schickte seiner neuen Favoritin (nachdem er meinen Korb dann endlich verputzt hatte) 50 rote Rosen an ihren Arbeitsplatz. Dem Madel war das nur urpeinlich und sie seilte sich so schnell es ging ab - wie so ziemlich alle Madels.
"Hatte ich das Geld vertankt, ware ich weiter gekommen!" jammerte der Martin.

Er fuhr einen VW-Pritschenwagen aus Armeebestanden, das Fahrerdach nur mit einer tarnfarbenen Zeltplane abgedeckt.
Damit bretterte er gern durch die Dörfer der Umgebung, legte seine Lieblingscasette ein ("Deutschlands Panzer stehn am Rhein, leuchten im Sonnenschein..." oder so ahnlich und dann irgendwas mit "Wüstensand" kam da noch, wo sie alle in der Sahara stehen, stark und stolz und... ach was weiß ich... also schlichtweg zum Lachen, wars nicht so ernstgemeint gewesen) und so brauste er mit zum Gruße ausgestreckter, rechter Hand durch die Straßen.

Nach der Schule begann der Martin seine Ausbildung bei der Polizei, denn er wollte Deutschland dienen und liebte Recht und Ordnung. Aber dort wurde er nach einem Jahr schon entlassen. Bei der Abschiedsfeier schlug man ihn "zum Ritter" und wehmütig zeigte mir der Martin davon die Fotos. Dass es sich dabei um Verarsche seiner Kollegen handelte, schien er nie begriffen zu haben.

Nachdem er bei der Polizei so ehrbar entlassen worden war, verpflichtete sich der Martin bei der Bundeswehr für 12 Jahre. Aber auch da wurde er noch wahrend der Grundausbildung entlassen wegen "kindlichen Verhaltens".

Der Martin saß wenige Tage danach bei mir und erzahlte mir alles. Die Tranen rannen ihm still über die Backen. Es war so ein ehrliches und aus tiefster Seele stammendes Weinen. Er war kein schlechter Kerl, er hatte wirklich Herz. Er sei mind. 50 Jahre zu spat geboren worden, meinte er und in der heutigen Welt wüsste man Leute wie ihn nicht mehr zu schatzen. Aber das war auch kein Wunder, meinte der Martin, denn seine wahren Qualitaten könne er eh nur im Krieg beweisen...

Mir riss die Hutschnur und ich gab ihm ein Buch, das ich mal gelesen hatte. Das Buch ist 1930 in Berlin gedruckt und es heißt "Aufbruch der Nation" von Franz Schauwecker. ISBNs hat es damals anscheinend noch nicht gegeben *blatter,such* aber ein Copyrightvermerk steht dort von © 1929 by Frundsberg-Verlag GmbH Berlin.
Ich zitiere die unten folgenden Passagen trotzdem aus dem Buch und empfehle allen "Martins", das mal so zu lesen. (Sollten die Passagen wieder gegen irgendwelche Rechte oder Gesetze verstoßen, vielleicht neben dem © noch wegen Gewaltdarstellung oder was weiß ich, also wisst ihrs, dann leckt mich, also wirklich!)
 

Aus dem Buch:

 

Wahrend seine Gretel namens Gerte, die er endlich nach langerem, höchst ermüdendem Hick-Hack erfolgreich erobern konnte, zuhause bei Muttern sehnsüchtig und angstvoll auf ihn wartet, wird der junge Albrecht 1914 an die russisch-deutsche Front im Osten stationiert, spater nach Frankreich.


"Wo sind denn hier die Russen?" fragte er.
"Da links" sagte der Füsilier Werming. "Ihr müsst ja wie die jungen Pferde sein, gar nich zu halten. Meldet euch mal beim Unteroff'zier. Da macht ihr'n guten Eindruck."

 

Margarete Nussel, meine Urgroßmutter
Ich wasche mich taglich an einem Pfuhl oder an einer Pumpe, an einem Ziehbrunnen oder ebenso oft gar nicht, weil ich das Wasser zum Trinken brauche. Ich schlafe auf bloßer Erde ohne Unterlage oder auf einem Lehmboden in einer Hütte oder gar nicht. Ich esse aus einem verbogenen Blechdeckel, und manchmal esse ich auch gar nicht. Ich trinke aus einem Aluminiumbecher trübes Wasser und bin Gott sei Dank gegen Cholera geimpft oder ich gieße einen merkwürdigen Kaffee hinter die schmierige Halsbinde. Die Nahrung, die ich zu mir nehme, ist fast gewürzlos, umd es heißt, dass sie machmal Soda ins Essen tun, damit man nicht gepeinigt wird von Vorstellungen von Frauen, von Madchenbeinen in straffen Strümpfen, von wehenden Röcken und Blusen mit warmen, atmenden Wölbungen.
Ich habe Lause und Flöhe und bin total verdreckt. Ware das im Frieden so gewesen, so hatte ich mich überall unmöglich gemacht. "Seht das Schwein!" hatten die Leute gesagt.

 

meines Großvaters Pate
Brenn hörte mit einem Male auf zu schießen. Er legt sich auf die Seite und streckte sich aus. Wollte er hier schlafen?
"Brenn!" rief Albrecht und rüttelte ihn.
Brenn kippte in sich zusammen und gab einen schnappenden Laut von sich. Albrecht beugte sich zu ihm hinüber. Der Kopf Brenns fiel herum, und er sah ihn an. Es war ein willenloser Blick aus trüben Augen, ein mitten im Glanz gebrochener Blick.
"Ach Gott", flüsterte Albrecht. "Ach Gott"
Brenn war schon tot. Ach Gott, da lag er. Albrecht wollte schießen, er musste ja wohl schießen, das war seine Pflicht hier ... ja ... so war es. Aber er konnte nichts sehen, beim besten Willen nicht ... nein ... Kimme und Korn verschwammen ihm wasserig und der Waldrand war weg, total weg. Da war nichts. Ach Gott. Da lag Brenn und war tot. Wie war das zugegangen? Er knallte einen Schuss heraus, er musste wohl schießen, ja, und er schoss, und der Schuss fuhr vier Schritt vor ihm irrsinnig in den Dreck.
Da lag Brenn. War das möglich? Jawohl, es war Tatsache. Er war tot, und seine unsterbliche Seele war bereits unterwegs nach oben, wahrend er noch hier unten lag und das alles vor sich hatte, welch eine Vorfreude der Erwartung!
Brenn zeigte keine Wunde. Wohin hatten sie ihn denn geschossen?! Da aber nahm Herse, der Kundige und Vielerfahrene, ihm den Helm ab, und siehe da: da schoss das gestaute Blut ihm in einem dicken Schwall unterm Lederhelm vor, der alles in sich gesaugt hatte und es nun von sich spie. Und da war der Ausschuss, unten an der linken Hüfte. Da war er also vom Scheitel bis zur Hüfte durchschossen. "Übung" hatte er gesagt "mit der Zeit lernt man alles". Ja, man kann sehr viel lernen, aber den Tod lernt man nicht. Da lag er nun.

Es war nur ein kurzes Durcheinander, dann war der Graben in ihrer Hand. Albrecht schwang sich hinunter und polterte dicht vor einem russischen Soldaten zu Boden, der auf einem Erdsockel saß und ihn mit einem irrsinnigen Lachen anstarrte. Der Soldat saß da und hielt in seinen Handen ein Bein in Stiefel und Hose, über und über mit Blut bedeckt. Es war ein abgerissenes Bein, total bekleidet, ein Bein mit einem einzigen Ruck aus dem Gelenk gerissen, und der Soldat spielte damit und grinste ihn an und schüttelte den Kopf, schweißnass im Gesicht, die Haare in Strahnen bis auf die Nase, todblass. Mein Gott - was ist - denn - ?

Der Soldat lachte wahnsinnig, gab sich einen Ruck und fiel steif gegen die Erdwand mit Augen wie blinde Glaskugeln, herausgedreht plötzlich, stier und fischig. Da starb er vor seinen Augen. Wo war denn sein Bein? Er hatte nur eins. Da wo das zweite sitzen musste - Albrecht sah hin und glotzte blau und kalt - da war er wohl nicht ganz normal, da saß kein Bein, da war ein blutiger Klumpen, ein fasriger Stumpf mit langen Lappen und Faden ins Leere, ein Mischmasch von Rot, Fleisch, Knochen und Zeugs. Das Bein aber lag daneben. Damit hatte sein Besitzer sich die letzten Minuten unterhalten, zum Zeitvertreib, damit er doch was hatte, woran er sein Herz noch hing, ein kleines Zusammensetzspiel mit sich selbst! Herrgott noch mal -! Der Rumpf des Toten spie Blut und Schleim, das auf der Erde in Klumpen lag und gerann. Das war ihm neu, das hatte er noch nicht gesehen, das war ihm noch nicht geboten worden!

Und er stand auf und taumelte weiter, beinah betrunken von diesem Anblick, dass ihm die Galle hochkam grün und gelb und er sich gegen die Erdwand erbrach, mit einem Würgen sein Inneres ausspritzend, solange bis er dachte, seine unsterbliche Seele kame zum Vorschein, blass und hasslich, ein bisschen übelriechend.


 
Albrecht stutzte mitten im Lauf, wahrend ihm die Geschosse um die Ohren zwitscherten und knallend durch die Stamme fuhren. Da lag einer - ja ... war das nicht Rudolf Keyling aus seiner Stadt, Göttinger Saxone, viertes Semester? War er das nicht da am Baum, auf der Seite liegend, funkelnagelneu eingekleidet, die Nase ein wenig schief wie im Leben, ein hochmütiges Lacheln um die Lippen? Er lief hin und bückte sich. Ja, das war er, tatsachlich, Rudolf Keyling! In Göttingen hatte er ihn zuletzt gesehen, da hatte er ihm die Hand gedrückt, und nun fand er ihn wieder, still und starr! Wie klein die Welt ist! Seine Lippen waren ganz trocken und bebbertern ein wenig nach unten. Kein Irrtum, das war Keyling. Ja!
"Los!" schrie Herse ihn an. "Die anderen gehen vor! Los!"
Er riss sich los und lief mit. Keyling! Wie kam er zu einem Regiment aus dem Westen? Tot! Und hier!

Als Albrecht schließlich verletzt wird, kommt er ins Lazarett.

Grete und Helene
Um die Mittagszeit waren sie in Thorn. Der Feldwebel schaute eifrig nach seiner Frau und dem Kind aus.
"Oh wird sie sich freuen!" sagte er. "Ich hab ihr vorher nich schreiben können. Das Telegramm is das erste, was sie hört. Und nu komm' ich gleich hinterher!"
Er war ganz aufgeregt.
Von der Frau war nichts zu sehen. Aber plötzlich schrie er auf: "Da is sie, mein Madel! Da is sie!"
Ein kleines Madchen in einem roten Kleid naherte sich suchend an der Hand eines Mannes in Zivil. Der Feldwebel rief aus den offenen Fenster: "Hier bin ich, Grete! Wo is Mutter? Grete!"
Das Madel lief auf ihn zu und der Mann kam langsam hinterher. Es war ein alterer Mann mit einem grauen Schnurrbart, der jetzt zögernd ans Fenster trat.
Albrecht, der unmittelbar hinter dem Fenster des Feldwebels lag, konnte alles verstehen.
"Wo is meine Frau?" frage der Feldwebel angstlich und streichelte den Kopf des Madchens.
Der Mann nagte an seinen hangenden Schnurrbartspitzen.
"Ja..." begann er verlegen. "Sie is nu ... namlich ... ja ..."
Das Madel kam inzwischen in den Wagen und schmiegte sich mit großen Augen zu dem Vater hoch, wobei sie sich verwundert umsah. Die Verwundeten lachten ihr zu. Was für ein kleines Madel das war! Wenn man sie mit dem Kolben berührte, würde sie sicher umfallen.
"Sie is weg", sagte der Mann draußen zu dem Feldwebel. "Es is ne Schande, aber sie is weg. Sie fuhr mit einem Reisenden vor zwei Tagen nach Berlin, und das Kind hat sie inzwischen bei einer Freundin gelassen. Da hab ich es heut früh gefunden. Ich hatt' es mir schon gedacht. Wir haben alle 'ne Wut auf sie. Nu hilft es nich. Und ich denk, es is besser, dass du es weißt. Ja ..."
Der Feldwebel sagte kein Wort. Er streichelte mechanisch den Kopf des Madchens, das ihn unablassig mit großen Augen betrachtete.
Der Zug pfiff. Das kleine Madchen verließ den Wagen. Der Feldwebel lag regungslos in seinem neuen Bett. Er lag meistens ruhig, denn jede Bewegung machte ihm Schmerzen. Die meisten waren sehr müde. Jetzt kam alles nach. Albrecht schlief ein.
Plötzlich erwachte er. Da schlug eine Granate ein, direkt neben ihm. Im Donner fuhr er hoch und fiel mit einem Schmerzensschrei zurück. Es stank nach Pulver. Rauch wallte hoch. Der Zug fuhr. Etwas Nasses lief über sein Kinn.
Die anderen Verwundeten richteten sich mühsam auf und riefen: "Was is denn!" - "Der Feldwebel!" - "Da liegt er!" - "Er hat sich erschossen!"
Der Arzt und Schwestern stürzten herbei. Der Feldwebel lag mit zerschmettertem Kopf im Bett. Albrecht wischte über sein Kinn. Da war Blut dran. Sein Finger war ganz rot.
Der Feldwebel hatte sich mit seinem Dienstrevolver erschossen.
"Das hatt er nicht tun sollen", sagten die Soldaten "wegen dieser Hure!"

 

Hans Nussel, mein Ur-Großonkel
Am zweiten Abend wurden zwei Schwerverwundete dringend eingeliefert. Der eine war ein Seesoldat aus Flandern mit einem üblen Bauchschuss. Das Geschoss, ein Granatsplitter, hatte ihm die Bauchdecke weggerissen, ohne jedoch die Eingeweide im mindesten zu berühren. Es war ein höchst wunderbarer Schuss, der der peinlichsten Aufmerksamkeit bedurfte. Der andre war ein U-Bootmatrose, der einen Granatsplitter in die Schadeldecke bekommen hatte. Er kam mit Phantasien und wilden Beangstigungen an. Beide wurden in einen durch Zeltbahnen in einer Ecke der Halle rasch abgeschlossenen Sonderraum gebracht, bis sie am nachsten Tage in ein anderes geeigneteres Lazarett überführt werden sollten.
Mitten in der Nacht fuhren alle Verwundeten von einem tierischen Gekreisch hoch, das aus dem Sonderraum scholl. Einige sprangen aus dem Bett und liefen dorthin, andre holten die Schwestern. Die Ärzte rannten herbei. Das Geschrei hielt inzwischen an. Es war ein heulendes, fast unmenschliches Klagen und Rasen außerster Verzweiflung und grauenhaftesten Entsetzens voll Todesangst und Schmerzen.
Es gab einen wilden Kampf zwischen den Ärzten, Krankenpflegern und Schwestern auf der einen Seite und den Verwundeten dort auf der andern Seite, einen Kampf, von dem die andern Verwundeten nichts zu sehen bekamen, denn ein Arzt, der vor dem Eingang stand, wehrte jedem den Eintritt. Dann wurde es still.
Am Morgen schlich ein düsteres Gerücht durch den Saal und ging von Bett zu Bett. Der Matrose war gerade in den wenigen Augenblicken, als die wachende Krankenschwester gegangen war, um ihm etwas Wasser zu holen, mit einem Tobsuchtsanfall aus dem Bett gesprungen, hatte sich auf den Seesoldaten gestürzt und ihm den Verband um den Bauch abgerissen. Er hatte ihn mit den Fausten in das Innerste der Bauchhöhle gepackt und den Unglücklichen und Wehrlosen binnen wenigen Sekunden in einer unbeschreiblichen Weise zugerichtet. Als die Ärzte und Pfleger hinzustürzten, fanden sie ihn auf dem Seesoldaten knien und in ihm wühlen. Der eigene Verband war ihm abgefallen, und das Blut strömte hemmungslos aus seinem Kopf und ergoss sich auf die weißen Betten. Der Seesoldat starb nach wenigen Minuten; der Matrose war am Morgen tot.
Die Verwundeten stützten sich in ihren Betten auf und sahen schweigend auf die beiden Bahren, die sich langsam an der Langsseite der Halle hinausbewegten.

 
Nachdem Albrecht genesen war, wurde er nach Frankreich, Verdun abkommandiert.

"Da habt ihr Verdun!" rief Unteroffizier Volkert. "Aufbleiben da vorn! Müller eins - Kopf hoch! Sehen Sie mal den Himmel, der hangt voller Scheiße!"
Albrecht musste zornig lachen. Was für eine fürchterliche Hölle von Dreck und Gestank und Chaos war dies! Niemals hatte er sich das so vorgestellt!
Vorn glimmleuchtete die Front wie fauliges Holz. Flieger rauschten unsichtbar nach vorn. Das waren Deutsche. Man hörte es am brummenden Bass der Propeller.
Der Weg bestand aus Löchern. Überall lief das Wasser. Die Erde war Brei. Der Regen fiel unaufhörlich. Die Luft war still. Schritt für Schritt qualten sie sich hin wie Kafer in einem Urwald von Finsternis und Kot.
Denk an was andres! rief er sich zu. Kopf der Prinzessin d'Este aus dem Hause Sforza, Mailand, dunkelklares Gemalde von Leonardo, entzückendes Filigranprofil des jungen Madchens, welche Prinzessin ist, herb, verwundert im Halbschlaf, keine Italienerin, sondern Deutsche. Eine Drahtrolle, an die er stieß, zerfetzte Hose und Vorstellung. Die Prinzessin versank wie eine Beschwörung im Dampf.

Sie wussten alle, dass sie da unten durchmussten, denn das Regiment, das sie ablösen sollten, lag jenseits auf der Höhe, die sie nicht sehen konnten, weil das Sperrfeuer die Grenze der Welt war, die Grenzscheide von Leben und Tod.
Ihre Blicke suchten den Weg hinunter. Sie sahen den Hang bedeckt mit Pferdekadavern und toten Soldaten zwischen Haufen von zerschossenem Gestange, das einmal Geschütze gewesen war. So entsetzlich war die Gewalt dieses zerreißenden Feuers, dass schenkeldicke Stahlschienen zerknickt, zerbrannt, verbogen und ineinander verknault waren wie Gummischnüre und Bretter. Sie erblickten einen toten Artilleristen, der aufgespießt war von zerbrochenen Speichen und hing, hoch in die Luft gehoben, schwankend im Wirbel des Luftdrucks wie ein Lappen. Ein ungeheurer Krater öffnete sich daneben. Da war ein Munitionswagen in die Luft geflogen, und ringsherum war ein Matsch von Armen und Rümpfen und Erde mit Koppeln, Helmen und langhingeflossenem Schleim, der metallisch blinkte. War das Blut? War das Gas?
...
Ein Schuss peitschte sich durch den furchtbaren Larm. Es war ein Schuss innerhalb der Kompagnie. Alles fuhr herum. Da lag ein alterer Soldat auf der Erde, abseits von den andern, halb versteckt, und hob einen blutenden Arm hoch.
Ein Soldat neben Albrecht schrie laut auf in einem hemmungslosen Ingrimm.
"Er hat sich selbst geschossen, das Schwein! das Schwein!" schrie der Soldat, baumte sich auf, als hatte er einen Hieb erhalten und schoss auf den Verwundeten zu. Dicht vor ihm stehend, erhob er das Gewehr und schrie auf ihn ein, fortwahrend das Gewehr schüttelnd, als wolle er ihn im nachsten Augenblick niederschlagen. Die Soldaten liefen zusammen. Der Leutnant kam hinzu. Ein großer Kreis bildete sich um den Soldaten, der dalag und wimmerte. Das Gesicht des Offiziers war ganz erstarrt von Verachtung und Wut. Er wurde ganz weiß und wieder dunkelrot im Gesicht, biss die Lippen, und wahrend das Feuer um einen Ton schwacher wurde, schrie er mit einer bebenden Stimme: "Das ist gemeiner Verrat an den Kameraden! Das ist elend! Das ist -" Die Worte blieben ihm weg, er starrte auf den Daliegenden und Jammernden, krampfte die Finger um das Koppel und sah einen Augenblick aus, als wolle er sich auf den Soldaten stürzen, um ihn zu schlagen.
Der Soldat, der soeben auf ihn zugelaufen war, stand immer noch da, das Gewehr erhoben, zitternd am ganzen Körper, und brach plötzlich in einen Schwall von wilden Empörungen aus: "Vorn sind die Kameraden, und du drückst dich - du Schwein, du Schwein! Du willst da nich rein, aber wir soll'n da rein - o, du Hund, du gemeiner - - ! Schieß dich in deinen Schadel, da hatt'st du dich hinschießen sollen!"


 
Sie fanden sich zusammen. Vier Mann fehlten. Drei waren tot. Und Unteroffizier Volkert lag mit dreimal zerknicktem Bein zwischen einem Pferdekadaver und einem vormals Gefallenen, hervorragend eingerahmt, ganz stilvoll kriegsmaßig ornamentiert. Und unversehends entdeckte der Sanitater, der ganz irre Augen hatte, dass ihm der Unteroffizier unter den bebenden Handen wegstarb, denn da saß noch ein Granatsplitter im Bauch. Den hatte er in der Dunkelheit übersehen, eine kleine Unterlassungssünde, die mal vorkommen kann, wenn man sich so erregt, unter solchen Umstanden! Und der Unteroffizier wusste selbst nicht Bescheid. Er antwortete auch nicht mehr, er stöhnte nur und fluchte zwischen zusammengebissenen Zahnen, bis er endlich flüsterte, drei Minuten vor seinem Ende: "Sagen Sie ... meinen Eltern, dass ... ich nur leicht ... verwundet war' ... die Uhr und die Brieftasche ... hier ... nichts mehr ... die Baume sind grün ... und au, au, au ... nicht doch, das hat keinen Zweck ... ich weiß das ... die Kuh muss bald kalben ... sag ihr nichts ... Mutter ... der Zaun ..."

 


Albrecht kam an einem totblassen Gesicht vorbei, das unmittelbar vor seinen Füßen im Kot schwamm. Zwei Augen drehten sich unter seinem entsetzten Blick um, dass das Weiße tot und blind auftauchte, und wieder vernahm er jene dünne, zitternde Kinderstimme: "Kam'rad ... Kam'rad ..." Ein schwerer Einschlag in unmittelbarer Nahe begrub den Laut, und ein Schauer von Brocken begrub das Gesicht. Er stierte noch besinnungslos. Das Gesicht war weg, und Dreck lag dort. Er rannte besessen.

 
Albrecht wartete, geduckt am Ausgang, eine Pause ab. Dann sprang er. Der Laufgraben nach vorn war verschwunden. Trichter lag an Trichter. Rauch und Staub trieben wie Nebel. Das Schloss hinter ihm brannte. Splitter klatschten in die Mauern. Quadern und Balken waren bis ins freie Feld geschleudert. Hier musste der Weg sein.

Er arbeitete sich vor. Zuweilen stolperte er über zerfetzte Kabelleitungen, blieb hangen und riss sich los. Er sprang in einen Trichter, auf einen Toten, direkt auf den Bauch. Der Tote schrie auf. Entsetzt rollte er sich zur Seite. Der Tote verstummte mit einem pfeifenden Ton, der im Nu von einem wahnsinnigen Knall verschlungen wurde. Schrien die Toten hier? In einer einzigen Sekunde brach ihm der Schweiß aus an den Beinen, auf dem Rücken. Da bewegte sich der Tote von selbst. Er hob das linke Bein mit fürchterlichen Zuckungen und ließ es fallen, wobei er den Bauch bewegte, und dabei musste er tot sein, es gab keinen Zweifel! Ihm fehlte der halbe Schadel. Konnte man denn mit einer so entsetzlichen Verwundung noch leben? War das möglich?! Er hatte ein glühendes Zittern in seinem Gesicht, ein fallsüchtiges Schwindeln vom Magen her bis in sein Gehirn hinauf ... hier veranderten sich die Lebensbedingungen, hier entstand eine neue Welt der Toten. Sie erhoben sich und tanzten mit ihren entseelten Körpern mitten unter den Granaten, die sie zu beleben schienen. Aber nun lag der Gefallene ganz still, und nur die Einschlagswolken bewegten sich heulend und die Erde bebte unter ihnen weg.

Und mit einem Male begriff er dieses gespenstische Wunder, halb kauend, halb würgend, mit tranenden Augen von all dem Explosionsdunst: nichts anderes hatte er getan, als dem Toten das Gas aus dem Bauch getrampelt, dass es pfeifend auf den beiden natürlichen Wegen sich hinaus begab aus seinem engen Gefangnis, die liebe Seele, die aus dem Munde heraus pfiff, die alte Sage der einfachen Völker. Das war es also, ein organischer Mechanismus, der automatisch loslegt, wenn man ihn mit dem richtigen Trick in Bewegung setzt - und so also war es mit der Legende der himmlischen Seele, bloß dass sie sich auch nach hinten verflüchtigte - d e n Weg hatte man nicht berücksichtigt.

Die Kompagnie! dachte er, grün und gelb im Gesicht sich gegen die Trichterwand erbrechend.
Die Kompagnie! Und er krabbelte sich hoch. Los! Weiter! Fort von diesem Totentanzer, dieser phantastisch lebendig gewordenen Zeichnung eines überirdischen Künstlers! Und er rannte weiter durch Grabenreste, torkelnd auf der nassverschmierten Erde, mit rutschenden Füßen, immer mitten in diesem höllischen Gewölbe von Sprengung und Rauch und unsinnigem Larm.
Er stieß sich mit den Handen ab, wenn er fallen wollte, und plötzlich fiel er abwarts und fuhr ins Bodenlose, ein Geschoss, hinlaufend durch die Röhre des Laufs. Aber er fiel weich, auf lauter Leichen, die da friedlich beieinander lagen, alle zusammen verschüttet im Unterstand und wieder befreit von einem neuen Einschlag, leider zu spat, eine Familiengruft von lauter Brüdern! Er tastete sich wieder heraus über die kollernden Leiber - ach lass uns zufrieden, wir haben das unsre getan, tu du das deine! - er scheuerte sich die verschütteten Stufen hoch, rasch, damit er nicht hier unten mit einem donnernden Schlage gleichfalls eingemauert würde, lebendig begraben mit seinen toten Kameraden, kam luftschnappend nach dem Gestank ins Freie, erhielt eine klirrende Ladung von Sprengstücken auf den Stahlhelm und klomm, pendelte und wühlte sich weiter, bis er den Graben erreichte, er wusste selber nicht, wie!
Der Wald war schon halb verschwunden. Er geriet in ein Gewirr von Ästen.
Der Leutnant starrte ihm entgegen: "Sind Sie doch noch zurückgekommen! Na - und!"
"Aushalten" keuchte Albrecht und fiel gegen die Bretterversteifung. "Wenig Posten aufstellen!"
"Es stehen keine mehr!" sagte der Leutnant.
...
"Da draußen sind sie ohne Deckung", flüsterte eine Stimme in Albrechts Ohr.
"Ja" antwortete er bleich.
"Ist alles zur Hand?" schrie der Leutnant. "Gewehr, Handgranaten!"
Sie nickten, tasteten heftig nach den Waffen, fielen wieder zurück und starrten vor sich hin.
"Ein Mann nach oben und aufpassen!" rief der Leutnant.
Herse erhob sich wie im Traum und kroch die erdigen Stufen hoch.
Mit einem Schlage verstummte das Feuer. Sie sprangen auf. Die Stille warf sie hoch. Von oben schrie Herse: "Sie kommen!"


Wochenlang schoben sie sich zwischen Granaten, Gaswolken und Maschinengewehrschüssen hin und her, tagelang lagen sie matt und verschmutzt in einer taglich und nachtlich durch schweren Fernbeschuss aufgestörten Ruhe, wochenlang duckten sie sich von neuem unter Trommelfeuer, lagen zwischen Grabern ihrer Kameraden, wichen zurück und gingen schreiend, keuchend, springend vor, bis ihnen die Uniformen, vom Lehmwasser und Gas zerfressen, fast vom Leibe fielen, bis sie soweit waren, dass sie im Stehen und Gehen einschliefen, bis ihr wildester Traum, ihre unerfüllteste Sehnsucht ein Glas Wasser, eine Brotrinde und ein ungetrübter Schlaf auf Erde waren.

Sie bewegten sich über Trichterfelder und zerschossene Wege, und Körper und Uniform, Gesicht und Stahlhelm wuchsen ineinander. Am Ende war alles gleich und grau, die Wege, die Felder, die Soldaten, die einander glichen und nicht mehr zu trennen waren, eine ungeheure rauch- und nebelerfüllte Landschaft, in der alles ineinander verschmolz, hallend überdröhnt von der riesigen Fuge der unaufhörlichen Beschießungen.


 

Albrecht pfiff durch die Zahne - und in diesem Augenblick fiel ihm die Vorstellung von Gerte mit einer siedend heißen Gewalt an, dass er zurückfuhr und - da drüben war der Bahnhof, auf dem die Lokomotiven pfiffen, die nach Deutschland fuhren mit einer Geschwindigkeit von sechzig Kilometern in der Stunde, wo sie zu Fuß nur vier Kilometer machten! - Ja da drüben jenseits der Grenze stand sie und wartete Tag und Nacht...

Sie kamen heraus wie aus einem Sieb, die Halfte. Hinter ihnen schrien die Getroffenen im Feuer. Die musste man liegen lassen. Niemand konnte ihnen helfen. Sie hatten nicht lange zu leiden. Sie brauchten nicht lange zu warten, bis die nachste Granate zuschlug.

Massen von Leichen quollen über von Gestank. Rechts rollte Gewehrfeuer. Die Mulde unten war Dampf. Erde und Wolken vermischten sich.
Sie betraten die Höhe. Der Wald war verschwunden. Zwischen Trichtern lagen zahllos Helme, Tote, Gewehre, Stiefel, Tornister, Verwundete jammerten. Einige krochen den Hang hinab.

...

Albrecht sah auf. Oben auf dem Trichterrande lag ein Toter. Das halbe Gesicht war weggerissen, und das andere, der Rest lachte mit fletschenden Zahnen. Die Oberlippe war nach oben gebogen und glich einem dicken Wulst. Mit seinem einem blasig und weiß aus dem Kopf getriebenen Auge aber zielte der Tote in den Trichter hinunter und fasste sie durchbohrend in dieses übermenschliche Auge, er klemmte sie förmlich höhnisch seinem inneren Blick ein, als wolle er sie sich genau merken: wartet einen Moment - gleich seid ihr an der Reihe und leistet mir Gesellschaft! Er hypnotisierte sie mit diesem unbeschreiblichen Monokelblick, dass sie ihn fassungslos bestarrten, diesen Zauberkerl, diesen Hexenmeister. Dergleichen gab es nur in Albdrücken und kannibalischen Marchen, und hier befand er sich leibhaftig, in Persona und lümmelte sich auf dem Rande des Trichters herum. Himmel, Arsch und Wolkenbruch - lasst uns bloß wegsehen, damit er uns nicht behext und total verdreht macht.

Nachdem Albrecht dann am Ende des Krieges noch lebendig in die Heimat zurückkehren kann, ist wahrend seiner Abwesenheit seine Verlobte, die Gerte, an einer Lungenentzündung gestorben.

Es ist eigentlich ein grauenhaftes, furchtbares, trauriges Drama, aber es ist mit genau der richtigen Nüchternheit und Wirklichkeitsnahe geschrieben, so dass keine Theatralik aufkommt und man die Geschichte als Realitat erkennen muss. Das Buch endet mit folgenden Satzen:

Und damit verließen sie [Albrecht und sein Kamerad] den Raum und gingen zum Bahnhof. Kein Mensch beachtete sie. Niemand kannte sie.

 

Sie waren trotz allem Nichtse. Dieselben Nichtse wie eh und je.



Martin war beeindruckt. Er gab zu, dass er sich seinen Krieg stets anders vorgestellt hatte.
Das anderte zwar nichts an seiner Lebenseinstellung, aber immerhin platzte bei ihm damit ein rosarotes Luftschloss.
Martin war nichts als ein Traumer und das wurde ihm nach diesem Buch offenbar etwas klarer...

Was hat denn nun das alles mit Satanismus zu tun???
Bevor ich fadenscheinige Verbindungen suche, gebe ich lieber offen zu: überhaupt nichts. Kampf und Krieg hat so viel oder wenig mit Satanismus zu tun wie Friede und Ruhe. Nur, manche wissen das nicht und daher... 


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